Schaut man in die Forschung zurück, wird man feststellen, dass es noch nicht lange her ist, als Experten das Endocannabinoid-System im menschlichen Körper entdeckt haben. Grund für diese Studien war die Frage, was die Hanfpflanze im menschlichen Körper bewirken kann. Der israelische Forscher R. Mechoulam entdeckte dabei verschiedene Rezeptoren im Organismus, die unter anderem von den Substanzen der Hanfpflanzen beeinflusst werden können. Die erwähnten Rezeptoren sind im gesamten Organismus des Menschen verteilt und arbeiten mit den körpereigenen Liganden zusammen.
Hinweis:
Experten unterscheiden zwischen zwei verschiedenen Cannabinoiden. Zum einen sind das die endogenen, also die die aus dem Körper stammen und zum anderen die exogenen. Letztere werden dem Körper zugeführt.
Was genau ist ein Endocannabinoid-Mangel?
Schon vor rund 20 Jahren wurde das erste Mal das Endocannabinoid-Mangel-Syndrom (CED) erwähnt. Es ging damals um neurodegenerative Erkrankungen, die durch einen Mangel an verschiedenen Neurotransmittern entstehen. Im Einzelnen waren dies:
· Acetylcholin bei Alzheimer
· Dopamin bei Morbus Parkinson
· Serotonin und Norepinephrine bei Depressionen
Man wusste schon damals, dass das Endocannabinoid-System (ECS) an der Steuerung des Schlafes, des Appetites, dem Schmerzempfinden, dem Gedächtnis, der Bewegungskontrolle bei Krämpfen, der Entspannung, dem Immunsystem und dem posttraumatischen Vergessen beteiligt ist.
In den meisten Fällen erfolgt die Regulation mittels der klassischen Rezeptor-Ligand-Bindung. Unter anderem findet man die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 im Organsystem des Menschen. Somit war klar, dass eine Störung im Endocannabinoid-System einen Einfluss auf die Symptome und die Entstehung von verschiedenen Krankheiten hat.
Sobald also das Endocannabinoid-System nicht ausreichend gut funktioniert, leidet das Wohlbefinden. Ärzte sprechen dann vielfach von einem Endocannabinoid-Mangel. Einen solchen Mangel kann man mit bestimmten Cannabinoid-Medikamenten gut behandeln und so für eine Linderung bei verschiedenen Beschwerden sorgen.
Vielfach tritt der Endocannabinoid-Mangel aus genetischen Gründen oder als Folge einer durchgemachten Krankheit auf.
Ist CED die Ursache für Fibromyalgie, Migräne oder dem Reizdarmsyndrom?
Bisher gibt es hier noch keine schlüssigen Theorien. Jedoch gibt es zahlreiche Hinweise, die einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden und einem Endocannabinoid-Mangel erkennen lassen. Des Weiteren ähneln sich die Krankheiten in einigen Punkten.
· Bei allen drei Krankheiten handelt es sich um Ausschluss-Diagnosen, die vielfach erst nach langwierigen anderen Diagnosen und Analysen gestellt werden.
· Alle drei Krankheiten gehen mit einer höheren Inzidenz zu Angststörungen und Depressionen einher. Jedoch ist bis heute nicht klar, welche Erkrankung Folge und welche Ursache ist. Den Betroffenen sagt man leider immer noch nach, dass sie psychosomatisch sind.
· Vielfach treten die drei Diagnosen parallel auf. Dies bedeutet, dass rund 97 % der Fibromyalgie-Patienten unter Kopfschmerzen leiden sowie rund 32 % auch unter einem Reizdarm.
· Die Patienten leiden unter einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit, wofür es keine Labornachweise und keine geweblichen Veränderungen gibt.
Die Verbindungen zwischen einem Endocannabinoid-Mangel und einer Migräne
Allein in Deutschland leiden 12 bis 14 % aller Frauen und 6 bis 8 % aller Männer unter einer Migräne. Bei einer Migräne handelt es sich um einen komplexen Kopfschmerz. Man geht davon aus, dass eine Überaktivität der Nervenzellen im Hirnstamm die Migräneattacken auslösen. Zu Migräne besteht eine genetische Veranlagung. Zahlreiche Studien weisen auf eine mögliche Verbindung zwischen der Migräne und einem Endocannabinoid-Mangel hin. Der stärkste Hinweis hierbei ist die Anandamid-Konzentration im Liquor der Patienten verglichen mit Kontrollpersonen. Bei einer Migräne kommt es häufig zu einer Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen. Normalerweise würde das Endocannabinoid-System im zentralen Nervensystem dieses Ungleichgewicht ausgleichen.
Die Verbindungen zwischen einem Endocannabinoid-Mangel und einem Reizdarm
Beim Reizdarmsyndrom handelt es sich um eine Störung im Verdauungstrakt. Das Reizdarmsyndrom äußert sich durch Krämpfe, Unwohlsein, Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung ohne eine akute Ursache. Etwa 10 bis 15 % aller Personen leiden unter dem Reizdarmsyndrom. Untersuchungen ergaben, dass sowohl die Darmbewegungen wie auch die Sekretion durch das Endocannabinoid-System moduliert werden. Aus diesem Grund liegt eine Behandlung mit Cannabinoiden nah. Schon im 19. Jahrhundert wurde Cannabis bei einem Durchfall aufgrund von Cholera erfolgreich angewandt. Dies wurde 2003 erneut bestätigt. Patienten mit einem Reizdarm haben bis zu 3,5 mal mehr an Nervenfasern, die TRPV1-sensitiv sind in ihrem Colon. Bei TRPV1 handelt es sich um den Capsaicin- oder Vanilloid-Rezeptor, der an das Endocannabinoid Anandamid anbinden kann. Durch die erhöhte Anzahl von TRPV1 Nervenfasern kann es zu einer viszeralen Hypersensitivität und Schmerzen kommen.
Die Verbindungen zwischen einem Endocannabinoid-Mangel und Fibromyalgie
Bei einer Fibromyalgie handelt es sich um eine nicht entzündliche Erkrankung. Die Patienten klagen unter Schmerzen der Muskulatur und des Bindegewebes am ganzen Körper. Auch wenn die Schmerzen sehr stark sind und es zu deutlichen Einschränkungen kommt, verursacht die Krankheit keine organischen Schäden. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen mit einer Fibromyalgie unter einer Endocannabinoid-Unterfunktion im Rückenmark leiden. Endocannabinoide können eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit senken, was wiederum den Zusammenhang mit Fibromyalgie erklärt. Schon seit einiger Zeit nehmen Menschen mit einer Fibromyalgie Cannabis oder andere Cannabinoide ein. Zahlreiche Studien belegen eine deutliche Verbesserung bei der Schmerzsymptomatik sowie der Schlafqualität und dem Wohlbefinden. Viele Medikamente, die von Fibromyalgie-Patienten eingenommen werden, zeigen nicht die erhoffte Wirkung. Hingegen kommt es zu einer Besserung der Symptome durch Cannabinoide, die eingenommen werden. Dies könnte darauf hinweisen, dass ein Mangel an Liganden (Endocannabinoide) an der Entstehung der Fibromyalgie beteiligt oder gar ursächlich ist.
Gibt es weitere Krankheiten durch einen Endocannabinoid-Mangel?
Zahlreiche Studien belegen die Entstehung von bestimmten Erkrankungen, die vermeintlich durch einen Endocannabinoid-Mangel entstehen.
Dazu zählen:
· Multiple Sklerose - In Tierversuchen wurde eine Beteiligung des Endocannabinoid-Systems an der Krankheit erkannt.
· Reiseübelkeit - Vielfach spielt das Endocannabinoid-System eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Reiseübelkeit sowie der Bewegungskrankheit. In Versuchen wurde bewiesen, dass Menschen mit deutlich weniger Anandamid und 2-AG häufiger unter Reiseübelkeit litten.
· Chorea Huntington - An Mäusen mit Chorea Huntington wurde eine weitreichende Störung des Endocannabinoid-Systems nachgewiesen. In analysierten Gehirnen von postmortalen Chorea Huntington Patienten wurde eine Reduktion von CB1-Rezeptoren nachgewiesen.
· Posttraumatisches Stresssyndrom - In zahlreichen Tierversuchen konnte nachgewiesen werden, dass das Endocannabinoid-System am Löschen von traumatischen Erinnerungen beteiligt ist. Des Weiteren konnte bewiesen werden, dass ein Anandamidmangel direkt mit einer stressinduzierten Angst einhergeht.
Was kann man gegen einen Endocannabinoid-Mangel tun?
Die Forschungen in diesem Bereich stehen noch ganz am Anfang, sodass es noch keine wirksam bewiesenen Behandlungen gibt. Einige Experten und Forscher gehen aber soweit, dass sie Empfehlungen aussprechen, was man gegen einen Endocannabinoid-Mangel tun kann. Aussagen zu der zufuhr von Cannabis bzw. Cannabinoiden sind nicht spruchreif und werden daher noch ausreichend diskutiert.
Man kann jedoch:
· Den Darm unterstützen, indem man sich gesund ernährt. Hier vermuten Forscher, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Bakterien und dem Darmmikrobiom gibt. Gerade bei Krankheiten sollte man seinen Darm schonen und durch Probiotika unterstützen. Verschiedenen Lebensmittel können hier eine große Hilfe sein. Dazu zählen eingelegtes Gemüse, Apfelessig, Wasserkefir, Kokosjoghurt und verschiedene Milchproduktalternativen.
· Mit Bewegung kann man das Endocannabinoid-System unterstützen. Man sollte jedoch auch Stress vermeiden und ausreichend schlafen.
· Hilfreich sind auch Nahrungsergänzungsmittel mit exogenen Cannabinoiden, die man als Öle, Pasten oder Kapseln frei verkäuflich erhält.
Zusammenfassung
Auch wenn viele Studien darauf hinauszielen, dass ein Endocannabinoid-Mangel mit dem Entstehen von zahlreichen Krankheiten in Verbindung gebracht werden kann, sind die Forschungsergebnisse noch nicht aussagekräftig genug. Ein klinischer Endocannabinoid-Mangel wird bisher noch nicht als Krankheit anerkannt, weshalb auch hier die Behandlung nicht eindeutig ist. Durch die Einnahme von exogenen Cannabinoiden kann eventuell eine Verbesserung im Endocannabinoid-System erreicht werden.